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Theresa Berenz ©

Gipfel(i)-Stürmer

Interview mit Tobias Renggli und Simon Straetker (Film Gipfeli of Switzerland)

Tobias Renggli

Black Forest Collective ©

Tobias Renggli hat die höchsten Gipfel aller Schweizer Kantone bestiegen und sich jeden Gipfel mit einem Gipfeli* versüßt.

2.533

Kilometer

26

Kantone

21

Tage

27.219

Höhenmeter

Tobias, im Film „Gipfeli of Switzerland“ hast du die höchsten Gipfel aller 26 Schweizer Kantone bestiegen und sämtliche Strecken dazwischen mit dem Fahrrad zurückgelegt. Magst du es, Listen abzuarbeiten?

Ich bin kein Fan von Bucket Lists, bei denen dir andere Leute vorgeben, was du gemacht haben solltest. Aber ich finde es cool, für mich selbst Listen zu erstellen und für meine Projekte gewisse Anhaltspunkte zu haben. Ich glaube, das ist auch ein Teil meiner Persönlichkeit. Als ich nach der Schule, also zwischen Militär und Studium, ein paar Monate Zeit hatte und einfach irgendwas Cooles machen wollte, hab ich eine Tour durch alle Länder Europas gemacht, sämtliche Hauptstädte besucht und den jeweils höchsten Berg bestiegen. So gesehen war das auch eine Liste. Natürlich schränkt man sich mit diesen insgesamt 88 Fixpunkten schon etwas ein, aber ich bin einfach nicht der Typ, der irgendwie ziellos in der Gegend rumradelt.

Ich bin jemand, der gut und gerne allein Sachen machen kann.

Nach der Europatour kam dann die Gipfeli-Tour, bei der du auf jedem Gipfel auch ein Gipfeli – die Schweizer Variante des Croissants – gegessen hast. Wie bist du auf diese Idee gekommen?

Mir hat das Wortspiel so gut gefallen: Gipfel und Gipfeli, das ist so schön zweideutig.

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*Gipfeli

Die Schweizer Version des Croissants ist gekrümmt statt gerade und enthält etwas weniger Butter. Neben dem klassischen Buttergipfeli findet man auch Schokoladen-, Nuss- und Vanille-Gipfeli. Es gibt sie sogar in einer veganen Variante.

Im Film kommentierst du regelmäßig die Qualität der verschiedenen Gipfeli. Gibt es da vielleicht auch eine Liste - mit den ganzen Gipfeli-Bewertungen?

Nein, ich habe kein Ranking gemacht. Das wäre auch schwierig geworden, weil einige Gipfeli aus sehr guten Bäckereien waren und andere bloß von der Tankstelle. Außerdem ist so eine Bewertung mega subjektiv und es spielen ja auch Faktoren wie Emotionen und das Wetter mit rein… Aber ich habe festgestellt: Die Qualität des Gipfeli scheint mit der Höhe zusammenzuhängen. Weiter oben schmecken sie einfach besser.

Die meisten Gipfel – manche waren ja auch nur Hügel – hast du allein bestiegen oder sogar erradelt. Aber bei einigen Bergen hast du dir Unterstützung geholt. Wie hast du deine Seilpartner ausgewählt?

Ich war früher im Schweizer Berglauf-Nationalteam und kenne dadurch ziemlich viele Leute. Außerdem habe ich die ganzen Berge während meiner Schulzeit schon einmal bestiegen. In Etappen, nicht am Stück so wie jetzt. Die meisten Leute, die dieses Mal mitgekommen sind, waren damals auch schon dabei. Es war zum Teil schon sehr kompliziert, das alles zu koordinieren. Aber auch mega cool. Wenn man neue Leute kennenlernt und gleich zusammen in die Berge geht, dann wird daraus recht schnell eine tiefe Freundschaft.

Woran liegt das?

Ich glaube, wenn man zusammen etwas sehr Anspruchsvolles macht, muss man einander ja auch sehr fest vertrauen, weil man am gleichen Seil hängt. Ich finde, es ist mega bereichernd mit anderen Leuten unterwegs zu sein. Weil sie andere Weltansichten haben und die Dinge anders anpacken und einschätzen.

Bist du lieber allein oder in der Gruppe unterwegs?

Ich bin jemand, der gut und gerne allein Sachen machen kann. Für die Europatour bin ich sieben Monate fast immer allein gewesen. Das ist mega anstrengend und intensiv, aber man hat auch unendlich viel Zeit zum Nachdenken. Im Alltag kann man Langeweile mit dem Griff zum Handy ziemlich gut verdrängen, aber wenn man so allein unterwegs ist, dann entstehen auch oft Gedanken zur Welt und zum eigenen Leben, die man sonst wohl nicht haben würde. Aber in den Bergen muss man ab und zu auch einfach zu zweit unterwegs sein, gerade wenn es über Gletscher geht. Es wäre einfach naiv, da alleine drüber gehen zu wollen.

Ich bin einfach nicht der Typ, der ziellos in der Gegend rumradelt.

Nach all den Strapazen der Gipfeli-Tour hattest du am Ende des Sommers noch eine weitere Hürde zu überwinden – deine Prüfungen an der Uni! Wie sind die gelaufen? Bist du zufrieden?

Als ich zurückgekommen bin, hatte ich noch so zwei, drei Wochen, um zu lernen. Die waren sehr intensiv und dementsprechend stressig. Aber ich brauche diesen Druck, da bin ich einfach effizienter. Ich glaube nicht, dass die Prüfungen besser gelaufen wären, wenn ich den ganzen Sommer durchgelernt hätte. Und am Ende war das Ergebnis ganz ok.

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Tobias Renggli wurde 2003 in der Nähe von Luzern geboren. Als 16-Jähriger wurde er Schweizer U20-Mountain-Running-Champion und für das Schweizer Berglauf-Nationalteam ausgewählt. 2020 schrieb er seine Maturaarbeit mit dem Titel „Tour dör d’Schwiiz“, für die er alle Schweizer Städte erradelte und die höchsten Punkte aller 26 Kantone erlief. 2022 folgte sein Projekt „Bikepacking Europe“, bei dem er die Hauptstädte und höchsten Punkte von 44 europäischen Ländern besuchte. Derzeit studiert er Gesundheitswissenschaften und Technologie an der ETH Zürich.

Simon Straetker

Black Forest Collective, Simon Straetker ©

Der Filmemacher und Naturfotograf Simon Straetker hat Tobias Renggli auf seinem Schweiz-Abenteuer begleitet.
Doch er ahnte nicht, was da auf ihn zukommen würde.

Filmemacher Simon Straetker setzt sich mit seinen Dokumentarfilmen für den Umweltschutz und gesellschaftsrelevante Themen ein, z.B. die Seenotrettung im Mittelmeer. Beim Gipfeli-Projekt bedeutete jeder Gipfel für ihn: filmen, Footage exportieren, schlafen – und am nächsten Tag das Equipment auf den nächsten Berg schleppen. Meisterhafte Logistik bei extremer körperlicher Belastung.

26 Kantone, 21 Tage

26 Kantone, 21 Tage: Simon ist sofort klar, dass das Vorhaben nicht nur für Tobias eine Herausforderung ist. Und er weiß: Ganz allein wird er es nicht schaffen, mit dem Athleten mithalten zu können. „Das Finsteraarhorn und die Dufourspitze haben wir innerhalb von zwei Tagen bestiegen. Allein die Dufourspitze ist als eine klassische Drei-Tages-Tour gedacht. Spätestens zu diesem Zeitpunkt habe ich gemerkt, dass ich körperlich an meine Grenzen komme“, erzählt Simon.

Ich habe es meistens gerade noch so geschafft, ihn zu filmen, habe dann das Footage exportiert und bin ins Bett gefallen.

Deshalb holt er sich tatkräftige Unterstützung von vier Kolleg:innen des Black Forest Collective, das sich der authentischen Erzählkunst für positive gesellschaftliche Veränderungen verschrieben hat. Gemeinsam wechseln sie sich ab, um Tobis Pensum zu schaffen.

Die Idee, auf jedem Gipfel ein Gipfeli zu essen, entsteht erst kurz vor der Tour: „Anfangs weiß man einfach nicht, ob das ein guter Ansatz sein könnte oder doch komplett bescheuert ist." Simon erzählt weiter: „Ein bisschen Mut hat das gebraucht, weil Tobi dann wirklich auf jedem Berggipfel so ein doofes Croissant in der Hand hatte. Und wenn das am Ende nicht funktioniert hätte – das wäre einfach nur komisch gewesen."

Die Zweifel verfliegen schnell: Nach einer spontanen Umfrage mit zehn Bekannten und durchweg positivem Gipfeli-Feedback steht fest – sie wagen den Vollgas-Ansatz. Was folgt, ist eine körperliche und mentale Zerreißprobe für alle Beteiligten.

„Das war schon eine absurde Leistung von Tobi, weil er auch so wenig geschlafen hat", beschreibt Simon den Dreh. „Ich habe es meistens gerade noch so geschafft, ihn zu filmen, habe dann das Footage exportiert und bin ins Bett gefallen. Eine Nacht später stehen wir wieder in Zermatt und beginnen den nächsten Aufstieg – während Tobi schon den ersten Gipfel des Tages hinter sich hat.“

Das war schon eine absurde Leistung von Tobi, weil er auch so wenig geschlafen hat.

Der permanente Schlafmangel macht sich bemerkbar: Tobi ist immer wieder ein wenig neben der Spur – was Simon Sorgen bereitet. Als Filmemacher fühlt er sich mitverantwortlich für seine Protagonisten und will sie auch nicht bis an ihre Grenzen pushen. Er weiß, wie schnell so etwas auf dem Fahrrad oder in den Bergen schiefgehen kann.

Die Glaubwürdigkeit seiner Filme ist Simon heilig: „Ich bin gar kein Fan davon, irgendwelche Dinge zu drehen, nur weil es dann im Film super aussieht. Wenn, dann möchte ich ein Abenteuer erzählen, das wirklich so passiert ist." In Tobias findet er den perfekten Partner für diese Philosophie: „Dem ist das scheißegal, ob da ein Film entsteht oder nicht, er zieht das durch", erzählt Simon.

Die dokumentarische Ästhetik täuscht – hinter jeder beeindruckenden Aufnahme steckt akribische Planung. An der Dufourspitze z.B. machen sich Simon und seine Kamerafrau Theresa schon zwei Stunden vor Tobias auf den Weg: „Wir sind dann halt um ein Uhr morgens los. Und auf 3.900 oder 4.000 Metern haben wir dann gewartet, bis Tobias uns einholt."

Das nächste Abenteuer am Horizont: Tobias möchte mit dem Fahrrad von Alaska nach Argentinien fahren und dabei alle 35 höchsten Gipfel Amerikas besteigen. Dabei soll bewusst mehr Zeit für menschliche Begegnungen eingeplant werden – ein Aspekt, den der Filmemacher künftig stärker in den Fokus rücken möchte. Das Projekt konzentrierte sich vor allem auf die sportliche Herausforderung: „Wenn wir mal auf einer Berghütte waren, ist Tobi direkt eingeschlafen. Das Abenteuer war geprägt von Fahrradfahren, Wandern und Schlafen,“ erzählt der Filmemacher lachend. Eine Lektion, die zeigt: Selbst die verrücktesten Abenteuer brauchen Zeit zum Atmen – und manchmal auch einfach nur Zeit für ein entspanntes Gipfeli ohne Zeitdruck.

EOFT 2025 Programm

Gipfeli of Switzerland ist Teil des EOFT 2025/26 Filmprogramms.